Die Überlegenheit der Selbstorganisation

Ich möchte meinen Beitrag zur Transformations-Debatte zunehmend so verstehen, die Aufmerksamkeit von den Nischenlösungen weg zu lenken, die wir schon vor 40 Jahren ausprobierten und dann feststellen mussten, dass es die weitere 50 Jahre vorher irgendwie auch schon gegeben hatte. Sie sind uns zwar ans Herz gewachsen, haben unser Leben stark beeinflusst und unsere Sehnsucht gewärmt. Aber das wirklich interessante heute sind die neuen Bewegungen, die aus dem System kommen.

Gestern sah ich zufällig einen LKW mit einer Werbung für einen internationalen Autoausstatter.
kiekert
„… für die Schließsysteme der Autos dieser Welt“ produziert die Firma Komponenten für den internationalen Fahrzeugbau. Diese Ausgliederung von Produktionssegmenten widerspricht dem alten Trend zu immer größeren Produktionsaggregaten. Möglicherweise hat hier im Zuge der Toyotisierung ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Die Konzentration auf Fachkompetenzen mit entsprechender Motivation von Selbständigkeit, Kreativität und sachbezogener (inhaltlicher) Professionalität ist dem rein betriebswirtschaftlichen Agglomerieren und Akkumulieren überlegen. Das Engagement des Erfinders und Ingenieurs, der sich mit seinem Produkt identifiziert, lässt eine ganz andere (intrinsische) Motivation entstehen.

In meiner Tageszeitung fand ich diesen Artikel „Heute vor 30 Jahren“:
zeitung

Toyota hatte damals erkannt, dass Menschen mehr und anders können als Maschinen (wie im Fordismus und Taylorismus) und schaffte es durch Förderung der sozialen, emotionalen und fachlichen Kompetenz der „Mitarbeiter“, Einbeziehung der Kunden und Zulieferer, die Produktivität zwischen 1973 und 1983 gegenüber Europa um das dreifache zu steigern

In den fordistischen Großbetrieben mit ihren hierarchischen Strukturen und straffen Weisungsregelungen konnte die Motivation nicht entsprechend gesteigert werden. Die „geldlogische“ Antwort war übrigens die Erfindung der „Profitcenter“: Einzelne Abteilungen der Großkonzerne wurden zu betriebswirtschaftlich selbständigen Einheiten, die ihre Produkte warenförmig an den Konzern bzw. die entsprechenden anderen Profit-Center (sogar im Wettbewerb mit nicht hausinternen Anbietern) verkaufen mussten. Die Toyota-“Philosophie“ setzte sich allerdings durch.

Selbstverständlich ging es bei diesen Reformen nicht um Menschlichkeit oder gesellschaftliche „Verantwortung“ , sondern um betriebswirtschaftliche Kalkulation, um Gewinne und faktisch noch effektivere Ausbeutung. Aber die Verschiebung des Focus auf die besonderen menschlichen Fähigkeiten hatte gewaltige gesamtgesellschaftliche Auswirkungen: Es zeigte die Überlegenheit des paradigmatisch neuen Prinzips „Selbstorganisation“, Kreativität und Kooperation gegenüber rein technischer Rationalisierung und Kontrolle von Menschen.

Dieser Trend ist bis heute ungebrochen und trieb auch Blüten von Selbstorganisation, die mit der Logik des Geldes tendentiell in Konflikt stehen (Freie Software, Wikipedia, freies Wissen, freie Kunst usw., „interaktive Wertschöpfung, p2p-Produktion usw.)

Dieser Beitrag wurde unter Arbeit, Selbstorganisation veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Kommentare zu Die Überlegenheit der Selbstorganisation

  1. Brigitte sagt:

    Bei Toyota war das ja tatsächlich so, dass man draufkam, dass die Menschen besser, lieber und daher auch effizienter arbeiten, wenn sie Verantwortung für einen größeren Arbeitsbereich bekommen und sich dort selbst organisieren können.

    Das erste Beispiel mit der Auslagerung der Produktion von Schließsystemen aus der Autoproduktion geht aber doch eher in die Richtung lean production und production on demand, also noch mehr Aufgliederung in immer noch kleinere Arbeitsschritte, wo die Menschen immer noch weniger wissen, wofür sie arbeiten? Ich sehe nicht, wo da der Zusammenhang mit Selbstorganisation ist.

  2. ulifrank sagt:

    Vielleicht ist die Überschrift mißverständlich. Mir ging es nicht um die Selbstorganisation im engeren Sinne, sondern eher um „intrinsische“ Motivation und Identifikation. Mir ist nämlich schon seit längerem nicht klar, warum eine „Konzentration auf Kernkompetenzen“ ökonomisch sinnvoll sein soll. Um Taylorisierung kann es kaum gehen, die läßt sich in großen Strukturen mindestens genauso gut organisieren. Meine Idee war, dass die inhaltliche Konzentration vieler relativ kleiner Zulieferer auf kleinere Produktions-Schwerpunkte die Identifikation mit dem jeweiligen Produkt erhöhen könnte. Dass dabei eine Illusion von Selbständigkeit, freier Gestaltung, Gebrauchswertorientierung aufkommen würde, die eben dann auch wertproduktiver wäre – durchaus als Parallele zum Toyotismus: Dort geht es ja auch um eine Steigerung der Indentifikation mit dem jeweiligen Produkt (sozusagen einer Verschleierung der Warenförmigkeit)

Kommentare sind geschlossen.